Story

Quino hatte die Augen zu. Sein Kopf lag im Nacken, irgendwas war an seinen Füßen.
"Auf jeden Fall wird es mit dir nicht langweilig, Maestro"
Seine Augenbrauen schoben sich zusammen, erst schaute er an die Decke, dann in Nemis' Gesicht. "Warum hast du dann gelacht, als wir getanzt haben?" Er schaute nun ganz ernst.

Seine Frage und die Ernsthaftigkeit, mit der er diese stellte, trafen sie unvorbereitet. Für einen Moment sah sie ihn verwundert an und sie versuchte die Gedankengänge des Betrunkenen zu erahnen, aber dann wurden ihre Gesichtszüge wieder weicher und das Schmunzeln kehrte zurück.
"Doofe Frage. Eben genau deswegen, du bringst mich zum Lachen, du Schnapsleiche."
In ihren Augen war das etwas Gutes und sie schätzte es an ihrer Freundschaft. Sie setzte sich auf die Bettkante neben ihn.
"Auf jeden Fall sind wir Vincenzo in Erinnerung geblieben. Und falls nicht wegen unserer Musik, dann zumindest wegen deinem Alkoholexzess", sie konnte es nicht mehr länger zurückhalten und brach in Lachen aus.

Quino konnte gar nicht mehr klar sehen. Aber nicht mehr unbedingt wegen dem Alkohol, sondern mehr wegen der Müdigkeit, die ihn überfiel.
Seine Augen wurden zu Schlitzen, er hatte das Kommentar mit Vincenzo komplett überhört.
"Du bist hier die Schnapsleiche!" Die Worte waren zuviel Anstrengung für ihn, sein Kopf fiel zurück. Er schwang ihn energisch zwei Mal hin und her und begann zu schnarchen. Das Bett unter ihm fühlte sich wie eine Wolke an, die ihn davontrug.
"Nemis.", murmelte er.

Sie registrierte sein Schnarchen und ihr wurde klar,dass er offenbar während sie lachte, eingeschlafen war. Nemis griff ein Kissen und hatte bereits ausgeholt, um es ihm als Strafe in sein Gesicht zu hauen. Dann drang das leise Murmeln ihres Namens an ihr Ohr. Sie hielt inne und lauschte. Der Anblick des Schlummernden war so harmlos und friedlich, dass sie ihn plötzlich nicht mehr zerstören konnte. Ihre Mundwinkel zuckten unwillkürlich. Statt das Kissen also als eine Waffe gegen ihn zu verwenden, legte sie es ihm an die Seite. Sogleich schlang er seinen Arm darum und nahm es gefangen in einen Kuschelgriff.
Jetzt musste sie sogar leise kichern. Irgendwie steckte dieser Kerl voller Widersprüche und sie wurde nicht ganz schlau draus.
"Träum was Süßes, Badboy. Du warst großartig heute."
Dann stand sie vorsichtig auf und stellte sicher, dass die Wasserflasche neben seinem Bett gut erreichbar war. Sie machte das Licht aus und zog die Tür leise hinter sich zu, als ob sie fürchtete ihn doch irgendwie wecken zu können. Den Schlaf hatte er sich verdient.

Quino hatte verschlafen und sich demnach krank gemeldet gehabt. Seine Mutter rief ihn an und sie unterhielten sich kurz. Sein Kopf brummte und er wollte das so schnell hinter sich bringen wie möglich. Die Schule informierte die Eltern eigentlich nicht, wenn sie sich krankmeldeten... wenn sie dem Personal auch sowas sagen würden, wie: "Ich bin erkältet."
Quino war noch so zugedröhnt, er war von seinen Kopfschmerzen in erster Linie wach geworden, dass er irgendeinen Mist gelabert hatte - Er wusste gar nicht mehr genau was.
Es war gerade kurz nach Mittag und er lag in seinem Bett, das Fenster stand weit offen und die Sonne schien rein. Die Gardine wehte ins Zimmer. Seine Hand lag auf seinem Bauch und sein Kopfkissen auf dem Boden. Er hatte die Hände hinter dem Kopf verschränkt, sein Bein angewinkelt, während das andere drauf lag.
Aus seiner Musikbox auf dem Schreibtisch ertönte die Mitte des Songs "Fade Out Lines" und sein Fuß, der in der Luft war, wippte passend im Takt.
- Er hatte noch nie geschwänzt.
Seine Augen fixierten die Decke.
- Er hatte auch noch nie soviel, in Beisein von Anderen, getrunken.
Quino kaute leicht auf einer Unterlippe herum.
- Mit einem Mädchen in aller Öffentlichkeit getanzt, hatte er auch noch nie.
Das Rumgebeiße wurde von einem siegessicheren Lächeln abgelöst. Er erinnerte sich an Nemis' Worte: "Du warst großartig."
Seine Miene wurde nachdenklich. Sie hatte es ihm gestern in seinem Zimmer gesagt, doch leider, wirklich leider, konnte er sich nicht erinnern, was er so Großartiges getan haben soll.
In seiner Brust mischte sich ein Chaos an Gefühlen, er fühlte sich unsicher und glücklich zugleich, und dann war da noch Vincenzo. Er hatte nicht vergessen, wie er mit Nemis umgesprungen war.
Auch wenn er an diesem Contest nicht persönlich teilnehmen würde, wäre er bei den Proben dabei. Er müsse ja Nemis helfen. Und alles daran setzen, dass sie nicht mit Vincenzo zusammen kommen würde. Oder Schlimmeres. Seine Augenbrauen zogen sich zusammen.
Wenn er doch auch nur an diesem Contest teilnehmen und jedem beweisen könnte , was er drauf hatte. Allen voran Nemis. Wenn sie wüsste, was in ihm steckte...
Quino streckte seine Beine aus und faltete die Hände auf dem Bauch - ...würde sie diesen Vincenzo mit keinem Blick würdigen.
Es klopfte an der Tür.

Ohne wirklich eine Reaktion abzuwarten, öffnete Nemis sachte die Tür und lugte rein.
"Sehr gut, du bist angezogen", dann trat sie mit einem großen Schritt ganz ein und ließ die Tür hinter sich zufallen. Sie checkte erst mal die Lage ab und musterte einen Moment lang ihn und sein Zimmer.
Er lag nicht irgendwo tot in der Ecke, sondern mehr oder weniger lebend auf seinem Bett. Auch roch es nicht nach Erbrochenem, was auch schon mal ein gutes Zeichen war. Mit der Gesamtlage zufrieden, ließ sie sich lässig auf seinen Schreibtischstuhl fallen und zog ein Bein nach oben an, sodass es angewinkelt auf der Sitzfläche stand.
"Und? Nach Nachsitzen und Komasaufen jetzt Schwänzen, wie mir zugetragen wurde?", neckte sie ihn schelmisch und herausfordernd. Dass er heute nicht zum Unterricht erschienen war, hatte sie über Umwege aufgeschnappt und sich schon zusammengereimt, dass es wohl mit gestern Nacht zusammen hing.

Erst war er überrascht, doch dann dachte er: Wer hätte es auch sonst sein können?
Quino lehnte sich auf die Ellenbogen, als sie sich setzte, und schaute zu ihr rüber. Wer ihr wohl davon erzählt haben mag? Doch, hatte sie danach gefragt? "Was machst du eigentlich hier?" Dann schwang er die Beine vom Bett und setzte sich auf.
"Und das nächste Mal, bitte anklopfen."
Er hatte sich eine neue Taktik einfallen lassen, während er die letzten Stunden damit verbracht hatte, über sie nachzudenken. Und jetzt war sie hi-ier! In seinem Zimmer!
Quino ließ sich nichts anmerken. Doch er wusste, er würde zumindest versuchen, etwas selbstbewusster zu sein.

"Und das nächste Mal, bitte anklopfen." Na, der schien ja gute Laune zu haben...
Nemis legte ihre verschränkten Arme auf das angewinkelte Knie und ihren Kopf darauf.
"Hab ich doch...Aber ich konnte ja nicht wissen, ob du hier gerade in deinem eigenen Erbrochenem krepierst, also war ich so frei, die Anstandsfloskeln zu Gunsten einer möglichen Lebensrettung abzukürzen."
Vielleicht sollte sie doch Anwältin werden, wie ihr Vater es ihr immerzu nahelegte, wenn sie sich mal wieder gekonnt rechtfertigte. Im Grunde hatte sie sich ein bisschen Sorgen gemacht.

Er zog eine Augenbraue hoch. "Du hast auf alles eine Antwort, oder?"
Quino wünschte sich er würde die Antwort auf seine Frage kennen. Die er ihr im Suff gestellt.
Warum sie gelacht hätte, als getanzt haben.
War er für sie nur ein Freund?
"Weißt du schon welchen Song du auf dem Contest vortragen willst?", lenkte er ab.

Irgendwie war er heute anders. Lag das am Kater oder trug er ihr vielleicht nach, dass sie gestern Nacht über ihn gelacht hatte? Nein, daran konnte er sich wohl kaum noch erinnern.
"Nee, ich hab Vincenzo heut ein paar Vorschläge geschickt. Mal schauen, was er antwortet. Ich bin immer noch geflasht, dass wir das scheinbar echt durchziehen."
Sie freute sich sichtlich darüber, aber ein mulmiges Gefühl blieb trotzdem.
"Am besten, wir verlieren keine Zeit mit dem Üben...Lust auf einen Ausflug? Hab gehört, frische Luft soll für Kranke gut sein."
Nemis hatte schon wieder ganz eigene Vorstellungen zum Thema "Üben" im Sinn.

"Und wohin?" Quino stand auf und ging zu ihr rüber. "Zu deinem neuen Freund?" Er grinste zwar, aber seine Augen zeigten, dass er es nicht witzig meinte.

Nemis Augenbrauen schoben sich zusammen und sie versuchte ihn mit skeptischem Blick zu lesen.
"Was hast du eigentlich heute? Bist du eifersüchtig oder was?"

Quino Gesichtszüge fielen in sich zusammen.
Sie hatte ihn ertappt.
Aber es gab zwei Dinge auf die er neidisch war und er entschied sich dafür ihr vom geringeren Übel zu erzählen.
"Ja!", gab er fest von sich und stand auf, blickte auf sie herab. "Das Jammen war Hammer und... Ach, egal." Er wandte sich ab und verschränkte seine Arme vor der Brust. Sein Gesicht verriet, das er nicht halb so unglücklich war, wie er vorgab zu sein.

Nemis legte den Kopf leicht schräg und ließ sich von seiner Größe nicht einschüchtern. Erst als er sich abwandte, änderte sie ihre Position, nahm das angewinkelte Bein runter und richtete ihren Rücken auf. Sie lag also gar nicht so falsch.
"Es war nicht nur hammer - es war genial.", antwortete sie dann entschlossen, als wäre sein Ausdruck eine Beleidigung für den gestrigen Abend gewesen.
"Und glaub mir, ich kann mir vorstellen, wie bescheuert es für dich sein muss, nicht mit auf der Bühne sein zu können. Nach allem von gestern Nacht...", ihr Blick schweifte seitlich auf den Boden. Er hatte wirklich alles gegeben und eine Menge Spaß gehabt, klar, dass es sich beschissen anfühlte, nun außen vor zu sein.
Nemis stand schwungvoll auf und stand nun vor ihm. Sie suchte seinen Blick und forderte seine ungeteilte Aufmerksamkeit: "Aber egal, wie schrecklich es sich für dich anfühlt - für mich ist es noch schlimmer!"
Ihre Hände hatten sich zu Fäusten geballt, die ihren Frust darüber erahnen ließen.
"Gestern Nacht hast du meine Stimme mit deiner Gitarre getragen. Das schafft kein Schlagzeug der Welt...das liegt in der Natur des Instruments. Also werde ich da draußen mehr oder weniger trotz Drums mit meiner Gitarre auf mich allein gestellt sein. Und dieser Gedanke...", sie ließ den Blickkontakt kurz abreißen, da die Worte ihr auch so schon schwer genug über die Lippen kamen, "macht mir Angst. Deswegen..", ihre grauen Augen fixierten ihn wieder, "schluck deine Eifersucht, nicht selbst dabei sein zu können, runter und kapier endlich, dass dein Anteil an all dem genauso groß sein wird wie unserer."
In ihrem Inneren loderte ihr Ehrgeiz und dieser war auf Quino angewiesen.
"Du hast versprochen, mein Gitarrenmeister zu sein, schon vergessen?", nun forderte sie ihn mit einem frechen Grinsen heraus und ging langsam ein paar Schritte rückwärts, dann drehte sie sich hob seine Gitarre auf und hielt sie ihm hin.
"Also zurück zu deiner Frage, wohin: An einen Ort, der uns beim Training hilft."

Quinos dreckiges Grinsen schmalz dahin, als sie davon sprach, wie er ihre Stimme getragen haben soll... Sein Herz pumpte das Blut wie wild durch seine Adern und er glaubte, es würde gleich stehen bleiben. Seine Ohren wurden ganz warm.
So dachte sie als von ihm?
Am liebsten hätte er sich umgedreht, sich vor sie hingekniet, ihre Beine umfasst und ihr gesagt, dass er ihre Gitarre wäre, bis ans Lebensende... er würde ihr dabei von unten hinauf in die Augen schauen. In ihre schönen, grauen Augen, die so mysteriös waren, wie der Nebel der Nacht.
Quino drehte sich zu ihr um. Sie sprach weiter, davon, dass sie Angst hatte. Er lächelte und seine Augen sahen dabei etwas müde aus. Quino würde dafür sorgen, dass sie keine Angst haben müsste.
Der Klang ihrer singenden Stimme drang an seinen Verstand: "We've gonna made such fools of ourselves"
Er wusste nicht wieso, aber ausgerechnet diese Zeilen hallten... Und sie hatten recht! Er machte sich zum Deppen.
Energie drang zurück in seine Mimik. Sie hatte recht!
Jetzt lächelte Quino breit und sagte: "Dann mal auf, auf Gitarrenlehrling, zu deinem mysteriösen Ort." Bei dem Wort auf der Zunge, fing er ihren Blick, ihre Augen, die er damit verband, etwas anders auf und schaute dann weg. Er ging zur Tür, legte die Hand auf die Klinke und drehte sich zu ihr, den Kopf etwas schräg liegend. "Sorry, war 'ne harte Nacht."

Er hatte sich also doch motivieren lassen. Sie grinste zufrieden, schulterte ihre eigene Gitarre und folgte ihm aus der Tür.
"Bis dahin ist es ne kleine Wanderung, aber die macht dich vielleicht etwas wacher."
Sie führte ihn vom Schulgelände in den kleinen Wald dahinter, bis ihr Weg von alten Schienen gekreuzt wurde. Hier fuhr schon ewig kein Zug mehr, das konnte man den überwucherten Bahnschwellen ansehen. Nemis sprang drauf und balancierte auf den Schienen, ihre Gitarre trug sie auf ihrem Rücken.
"Denen können wir jetzt ein gutes Stück folgen und dann sind wir auch schon fast da", sie klang, als hätte sie viel Zeit damit verbracht, die Umgebung zu erkunden.
"Wie geht's deinem Kopf inzwischen?", erkundigte sie sich dann.

Skeptisch folgte Quino ihr. Er fragte sich, was die Neue hier entdeckt haben könnte, das er noch nicht kannte. Abgesehen davon, hatte er nie verstanden, dass sich Menschen vom hellen Tageslicht belästigt fühlen könnten. Jetzt schon.
"Besser.", sagte er.
Sie gingen die Gleise entlang, mit ihren Gitarren auf den Rücken, als würden sie ein Abenteuer bestreiten, das sich nur durch Musik lösen ließe. "Was proben wir eigentlich gleich?" Er wollte sich schon mal mental darauf vorbereiten.

Sie sah frech zu ihm rüber.
"Ich bringe uns nur an einen inspirierenden Ort jenseits dieser knebelnden Akademie. Für die musikalische Lektion bist du verantwortlich, Gitarrenmeister. Du hast freie Auswahl an all meinen Baustellen", sie lachte über ihr eigenes Untalent.

Quino lächelte. "Gut.", flüsterte er nickend. Er erinnerte sich an ihre Proben und an Nemis' Gitarrenspiel. Sie war noch nicht so geübt im anschlagen und darin beide Hände in einer simultanen Differenz zu nutzen. "Schwierig."
Ihm fielen einige Melodien ein, die sie lernen könnte, sachlich und penibel, doch dann schaute er aus den Augenwinkeln zu ihr.
Nein.
Heute würde er ihr beibringen, die Gitarre fühlen zu lassen. Und das konnte er nur mit seinem Kulturgut. Quino grinste.
"Vielleicht wird eine etwas unkonventionelle Methode sein für dich." Er schaute auf die Bretter vor sich, die die Gleise verbanden. Manche knatschten unter seinen Schritten.

"Unkonventionell klingt genau richtig", schmunzelte sie und sprang von der schmalen Schiene zurück auf die Bretter.
Nach ein paar Minuten, schien Nemis nach etwas Ausschau zu halten. Immer wieder sah sie nach links in den Wald, der etwas unterhalb der erhöhten Gleise lag. Irgendwann erhellte sich ihr Gesicht auffällig und sie blieb stehen.
"Ok, fast da. Hier müssen wir runter!"
Mit einer Selbstverständlichkeit wich sie von dem Verlauf der Schienen ab und schlitterte vorsichtig den Hang hinunter. Durch die Bäume konnte man bereits erahnen, dass anders als bisher noch irgendetwas anderes hinter den Stämmen lag. Das blonde Mädchen marschierte voran und nach ein paar Baumreihen lag ihr Ziel offen vor ihnen: Ein alter Schrottplatz. Oder mehr noch als das, vielleicht traf die Bezeichnung Autofriedhof eher zu, denn die verrosteten Oldtimer waren definitiv das Highlight dieser schaurig schönen Kulisse. Wann auch immer dieser Ort für seine Bestimmung genutzt worden war, diese Zeiten lagen lang hinter ihm und nun erfüllte er zwar immer noch seinen Zweck für die hier abgelegten Objekte, doch es war schon ewig nichts neues mehr hinzugekommen. Gerade diese Tatsache verlieh ihm einen nostalgischen Charme, der jedem Künstler Herzklopfen bereiten würde. So auch Nemis; sie hatte sich in diesen Anblick verliebt. Es faszinierte sie immer wieder, wie dieser Ort zum Schauplatz eines Kampfes zwischen Technik und Natur geworden war, dessen Sieger bereits lange feststand. Äste rankten durch zerbrochene Autoscheiben, das hohe, wilde Gras versteckte platte Reifen und die Witterung hatte ihr eigenes Kunstwerk auf dem Lack der Karosserien hinterlassen.
Sie stand mitten zwischen einem Berg aus Reifen und alten Autositzen und einer Truck-Fahrerkabine mit zersprungenen Scheinwerfern. Mit einer eleganten Drehung auf der rechten Hacke und ausgebreiteten Armen drehte sie sich zu ihrem Begleiter um.
"Tadaaaa: Willkommen an meinem Lieblingsplatz! Das hier ist eine große Ehre - bisher war das mein Geheimnis", sie legte eine Hand an ihre Hüfte und musterte ihn, als würde sie prüfen, ob er ihres Geheimnisses wert sei. Nicht, dass er davon seiner bescheuerten Freundin erzählen und diese das eines Tages zu ihrem Revier erklären würde. Aber die Absurdität dieser Gedanken fiel dieses Mal selbst Nemis auf.

Quino hatte die ganze Zeit über die Augenbrauen vor Staunen hochgezogen gehabt. "Das ist..." Er versuchte nach Worten zu finden, aber irgendwie gab es keine, die cool genug klangen.
Ein guter Übergang zu seiner Lehrstunde.
Er zog seiner Gitarre vor den Bauch und begann eine einfache Melodie zu klimpern. Sie klang erfreut, melonscholisch und überrascht zugleich, doch dann wurde sie etwas dramatischer... Quino hatte die Augen währenddessen geschlossen und schaute dann zu Nemis: "Das ist was ich dazu sage." Er lächelte breit. "Wie bist du denn hierauf gekommen?!", rief er aus, nur um sich weiter umzusehen.

Es überraschte Nemis zuerst, dass er seinen Gefühlen nicht mit Worten sondern mit seiner Gitarre Ausdruck verlieh, doch korrigierte sie sich selbst. Es passte zu ihm. Sein Instrument war der verlängerte Arm seiner Emotionen, komplett anders als bei ihr.
"Ich bin die erste Zeit so ziemlich überall im Umkreis der Akademie rumgegeistert. Immer wenn ich Heimweh hatte, immer wenn ich Frust hatte, immer wenn ich nicht schlafen konnte. Also...ziemlich oft, wie du dir denken kannst", sie lächelte schief und kletterte auf die Motorhaube eines verrotteten Chevrolet Impala. Im Schneidersitz an die gesprungene Motorhaube gelehnt, brachte sie die Gitarre in Position zwischen ihre Schenkel und legte die Arme darauf.
"Dann bin ich vor einiger Zeit zufällig hierauf gestoßen. Die Straße, die hier mal hinführte, ist total kaputt und über die Schienen ist der schnellste Weg. Aber wenn man nichts davon weiß, rechnet man ja nicht damit, deswegen ist alles hier wahrscheinlich so unberührt. Einfach wunderschön, oder?"

Ziemlich oft... Die Worte echoten in Quinos Verstand. Nemis konnte traurig sein? Also so richtig? Er wusste nicht, wie er damit umgehen sollte, fühlte sich irgendwie verantwortlich, doch dann switchte sie die Themen und der Lockenkopf war sichtlich erleichtert.
Er ging zu ihr rüber und setzte sich auf die Motorhaube eines anderen Oldtimers, dem der neben dem Chevrolet stand. Quino ließ ein Bein hängen und winkelte das andere an.
"Ja... ist es.", sagte er und schaute nochmal grinsend in die Runde des Anblicks, der sich ihnen bot. "Aber hast du mich für Sightseeing hergeschleppt oder um die Gitarre besser zu verstehen, Lehrling?" Er zog eine Augenbraue hoch und blickte dabei aber nicht zu ihr, sondern auf seine Gitarre, die er aus ihrer Ummantelung wühlte.

Nemis klatschte voll Tatendrang ihre flachen Handflächen auf den Korpus ihrer Gitarre.
"Stimmt! Ab hier übernimmst du!"
Ihre Augen funkelten neugierig und sie brannte darauf, seine "unkonventionelle Methode" zu erleben.

Quino räusperte sich.
"Nun, gut." Er zog eine Augenbraue hoch. "Sei die Gitarre." Erst wartete der Latino auf ihre Reaktion, dann fuhr er fort: "Sieh sie dir an. Nicht, wie ein Instrument, sieh ihre Bestandteile..." Quino beobachtete, wie die Blonde ihre Gitarre fixierte. "Die Saiten... ihr Rumpf... Streichel sie."
Der Gitarrenmeister machte es ihr vor und liebkoste sein Instrument.